Textschnipsel Nummer 2
Kristina Valentin alias Kristina Günak versüßt ihren Leserinnen und Lesern die Wartezeit bis zur Veröffentlichung (13.5.2019) ihres Romans »Garten der Wünsche« mit kurzen Leseproben.
Abrupt stand sie auf und vertrieb das plötzliche Frösteln, indem sie sich die Strickjacke enger um den Körper zog.
Bäume verloren Blätter in der Regel im Herbst. Doch dieser Finkenwerder Herbstprinz tat das eben nicht. Für gewöhnlich. Sie kannte ihn und seine Gewohnheiten nach der langen, gemeinsamen Zeit sehr gut. Er wurde oft schon im Februar grün, im März war er voll belaubt und es zeigten sich die ersten kleinen Äpfel, die zwischen Juni und November reif wurden. Dazwischen blühte er immer wieder, und ständig hatte er neue Früchte. Über Wochen. Alles kein normales Verhalten für einen Apfelbaum. Deswegen war der Verlust eines Blattes ungewöhnlich. Nicht gleich besorgniserregend, aber doch seltsam.
Und wenn Klara Gorse sich etwas nicht erklären konnte, oder wenn sie besorgt war, steckte sie ihre Hände in die Erde, schnitt etwas zurück oder zog wilde Beikräuter aus den Beeten. Hier gab es schließlich immer etwas zu tun. Es war ein ewiger Kreislauf, und jeder Halm wurde genutzt. Wenn man das Kraut essen konnte, kam es auf den Teller oder in die Teetasse, der Rest auf die großen Komposthaufen am Rand des Gartens, wo sie nach wenigen Monaten zu bestem Humus zerfallen waren.
Im Haus war es noch still, selbst Sten, ihr schweigsamer, nordischer Koch, hatte noch nicht die Fenster der großen Küche im Erdgeschoss aufgerissen, wie er es selbst im tiefen Winter zu tun pflegte, und begonnen, das Frühstück zu richten. Also hatte sie noch Zeit für einen Rundgang durch den Garten.
Nahezu lautlos lief sie zum kleinen Gartenschuppen, in dem sich all ihre Geräte befanden. Ein alter, angespitzter Spaten, den sie lieber nicht mit bloßen Füßen nutzte, denn er war so scharf wie ein Küchenmesser, Hacken, Schaufeln, ihre vielen Unkrautmesser, von denen sie immer
einige in Reserve hatte, weil sie einen Großteil von ihnen während der Arbeit verlor und erst im Dezember wiederfand, wenn die Beete nicht mehr so voll waren. Eimer, eine rostige Schubkarre, die Heidrun in einem knalligen Rot gestrichen hatte und die mittlerweile mit der abblätternden Farbe wie ein Kunstwerk aussah. Klara griff sich einen Eimer und ihre Gartenschere. Ein einfaches Model, das sie jedes Jahr gegen ein neues austauschte. Es war der Beginn des Gartenjahres. Ein Ritual. Sten fuhr immer im Januar nur für diese Schere in das sechzig Kilometer entfernte Husum in den Baumarkt.
Klara lief am Gemüsebeet vorbei in Richtung des kleinen Flüsschens Rudella, hinter dem sich die wilde Wiese befand, die den krönenden und wilden Abschluss des Gartens bildete. Auf ihr wuchsen unzählige Sommerblumen und Heilkräuter, und mitten in der Landschaft stand eine uralte Walnuss, die ganz Lindenbühl jedes Jahr mit ihren wunderbaren Nüssen beglückte.
Genau hier, am Gartenrand, wuchsen die prachtvollen Pfingstrosen, die in den vergangenen Tagen mit ihren anschwellenden Knospen vom zeitigen Frühjahr im Garten von Lindenbühl gekündet hatten. Klara musste sich durch einen knorrigen Holunder zwängen, der jedes Mal seine Äste nach ihr ausstreckte und sie festhalten wollte. Sie nahm es ihm nicht übel. Er war vor ihr hier gewesen. Nur ein paar unwissende Pensionsgäste hatten angeregt, den auslandenden Busch zurückzuschneiden oder gar herauszunehmen, damit man die Schönheit der Pfingstrosen auch vom Garten aus bewundern konnte. Was natürlich unmöglich war. Die Menschen lernten Differentialrechnung in der Schule, sie konnten ein Foto machen und es der ganzen Welt im Internet zeigen, sie konnten Aktien über das Telefon kaufen, aber sie wussten nicht, dass man einen Holunderbusch um keinen Preis zurückschneiden oder gar fällen durfte.
Klara war nicht mehr klar, ob sie das damals vielleicht auch nicht gewusst hatte. Damals. Vor dreißig Jahren, oder ob dieses Wissen einfach in sie eingedrungen war, und sich nun anfühlte, als wäre sie damit zur Welt gekommen. Zumindest lebte sie mit dem umtriebigen Holunder und zwängte sich auch an diesem frühen Morgen an ihm vorbei und stapfte durch die feuchte, lehmige Erde. Doch dann hielt sie einen Moment inne. Sie musste kurz durchatmen.
Hier kann man den Roman vorbestellen!
Ab 13. Mai 2019!
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